„Zeit“ ist ein Begriff, der für uns gleichermaßen Vergänglichkeit und Fortschritt bedeutet. Die wahren Ausmaße der Zeit sind aber für unsere Vorstellungskraft kaum zu erfassen. Oft lesen wir, wenn wir Artikel über die Erdgeschichte, über Eiszeiten, Urmenschen oder Dinosaurier lesen, über Begriffe wie „Millionen“ oder sogar „Milliarden“ von Jahren einfach so hinweg, ohne dass uns die Bedeutung dessen, was wirklich dahinter steht, wirklich erreicht. In dieser Serie begeben wir uns nun auf eine Reise durch die Zeit, um die Geschichte unserer Erde näher zu begreifen.
So schon bei folgendem Sätzen: „Unser Planet, die Erde ist ca. 4,6 Milliarden Jahre alt. Vor etwa 3,5 Milliarden Jahren brachte sie schließlich das Leben in Form einfachster Mikroorganismen hervor.“ Diese Zahlen sind so schnell dahingesagt, doch ihre Bedeutung ist unvorstellbar groß: Um sich über die Bedeutung der Zeiträume, über die wir sprechen, einmal klar zu werden, müssen wir zuerst ein kleines Gedankenspiel machen:
Gedankenspiel I – Eine Reise durch die Zeit mit dem Abakus
Stellen wir uns vor, ein Junge setzt an seinem siebten Geburtstag statt mit seinen Freunden zu feiern einfach nur aufs Sofa und beginnt zu zählen. Dabei schafft er es, immer genau zwei Zahlen pro Sekunde zu zählen. Er zählt natürlich nicht laut, denn schon wenn er die mehrstelligen Tausender erreichen würde, würde schon das Aussprechen der Zahlen länger als zwei Sekunden dauern. Also schiebt er stattdessen auf einem Abakus, einem Rechenschieber, die Perlen von links nach rechts. Diese Tätigkeit führt der Junge nun jeden Tag sechs Stunden lang aus, also seine gesamte Freizeit, die er neben Schule, Essens- und Schlafpausen pro Tag zur Verfügung hat.
An seinem ersten Tag schafft er es immerhin, etwas mehr als 43.000 Perlen zu verschieben. Wenn nun jede Perle, die er verschiebt, ein volles Jahr symbolisiert, so wäre er nach dem ersten Tag bzw. den ersten sechs Stunden schon bis zu den Mammutjägern der Eiszeit gekommen!
Jahrtausende und Jahrmillionen – erdgeschichtliche „Wimpernschläge“!
Doch das Zählen geht munter weiter. Wenn er pro Woche also etwas mehr als 300.000 Perlen schafft, so braucht er mehr als drei Wochen, um seine erste Million zu zählen. Vielleicht kann er es schaffen, in einem Jahr bis zu sechzehn Millionen Perlen zu bewegen, dafür müssen aber die Ferien und jede Art der Freizeitgestaltung ausfallen: unser Freund muss sogar hin und wieder ein paar Überstunden machen.
Wenn unser Junge elf Jahre alt ist, wäre er endlich in der Zeit der Dinosaurier angekommen. Doch waren dies erst 66 Millionen Jahre beziehungsweise Perlen. Bis zu den mehr als 4,6 Milliarden Jahren braucht er also noch eine ganze Weile. Spätestens ein halbes Jahr nach seinem 13. Geburtstag, nachdem er mehr als sechseinhalb Jahre lang jeden Tag sechs Stunden lang Perlen auf seinem Abakus verschoben hat, wird der Junge wohl feststellen, dass er es in seinem Leben wohl nicht mehr schaffen wird, bis an den Anfang der Erdgeschichte zu zählen: er hat dann gerade erst die Grenze von 100 Millionen Jahren überschritten, gerade einmal ein Sechsundvierzigstel der gesamten Erdgeschichte!
Von den Dinosauriern zum Anfang des Lebens
Erst nach beinahe 15 Jahren des Zählens – der Junge ist nun längst erwachsen – würde er die Zeit vor etwa 231 Millionen Jahren erreichen, als sich die allerersten Dinosaurier in der Trias entwickelten. Dies sollte uns verdeutlichen, wie ungeheuer lang die „schrecklichen Echsen“ unseren Planeten bewohnten, doch im Vergleich zur gesamten Erdgeschichte ist auch ihre Herrschaft nur ein kurzer Wimpernschlag!
Mit den zittrigen Fingern eines siebzigjährigen alten Mannes würde unser Freund schließlich die letzte Perle zu seiner ersten vollen Milliarde Jahren verschieben. Ein ganzes Menschenleben ist also nötig, um eine Reise durch die Zeit zu wagen. Und wir schaffen es dabei nicht einmal, nur ein Viertel der Erdgeschichte in Jahren auszuzählen. Ein ganzes Leben fliegt dahin. Ein Leben, in dem unser Junge niemals Zeit für Freunde, die Liebe oder des Gründen einer Familie haben dürfte. Dieses Beispiel sollte uns Ehrfurcht vor großen Zahlen lehren, denn allein sie nur zu zählen, kostet schon ungeheuer viel Zeit!
Gedankenspiel II – Eine Reise durch die Zeit mit dem Kalender
Damit wir uns vorstellen können, wie groß die Zeiträume sind, die zwischen den einzelnen Erdzeitaltern liegen, brauchen wir aber ein anderes Gedankenmodell. Legen wir also die gesamte Erdgeschichte einmal in nur ein einziges Kalenderjahr!
Die Entstehung der Erde
Wenn die Erde am 01. Januar um 00:00 entsteht, so dauert es das ganze Frühjahr, bis sich auf der Erde eine feste Kruste gebildet hat. Etwa zur Osterzeit entstehen die Ozeane, doch immer noch ist unsere Erde ein giftiger, lebensfeindlicher Planet, der uns völlig fremd erscheinen würde. Ohne einen nennenswerten Anteil von Sauerstoff in der dünnen Atmosphäre ist der Himmel den ganzen Tag über schwarz mit einem schimmernden Sternenfirmament, so wie in der Nacht. Trotzdem ist es auf der Erde tagsüber natürlich hell, aber die Lichtstrahlen der Sonne werden nicht gebrochen.
Außerdem dauern die einzelnen Tage und Nächte nur wenige Stunden, da sich die Erde noch viel schneller um sich selbst dreht. Wolken gibt es an ihrem unwirklich erscheinenden Himmel auch, immer wieder regnet es und gewaltige Gewitterstürme, Vulkanausbrüche und Meteoriteneinschläge sorgen für ordentliche Action auf der jungen Erde. Organische Mineralien, wie Kalkstein oder Kreide, gibt es jetzt noch nicht – diese setzen nämlich das Vorhandensein von Leben voraus!
Das erste Leben
Bis das erste Leben in den Ur-Ozeanen entsteht, dauert es aber noch bis Anfang Mai. Die ersten einzelligen Lebewesen beginnen nun, Stoffe deutlich rascher umzuwandeln, und reichern unsere Atmosphäre zunehmend mit Sauerstoff an. Atmen könnten wir Menschen dort zwar noch nicht, dazu ist der Sauerstoffgehalt immer noch viel zu gering. Aber es ist immerhin ein Anfang. Jetzt erst entsteht auf der Erde auch eine dünne Ozonschicht, welche die frühen Lebewesen vor der gefährlichen UV-Strahlung schützt. Dabei kühlt unser Planet allerdings extrem aus: immer wieder gibt es Zeitalter, in denen die Erde komplett vereist und sogar die Ozeane zufrieren.
Ansonsten ist die Geschichte des frühen Lebens eigentlich ziemlich langweilig. Außer einigen Mikroben können wir den ganzen Sommer und Herbst eigentlich gar nichts Spannendes beobachten. Anfang November legen wir dann aber endlich unser Mikroskop zur Seite. Solange würde es dauern, bis die ersten auch mit bloßem Auge sichtbaren Lebensformen im Meer entstehen. Erst vor 680 Millionen Jahren wird es für die Paläontologen interessant, denn nun legt die Evolution den Schnellgang ein. Sie muss schließlich allmählich den Jahresabschluss vorbereiten.
Höheres Leben
Ab der zweiten Novemberwoche werden die Meeresbewohner immer größer und beginnen damit, sich gegenseitig aufzufressen. Durch dieses Wettrüsten aus Angriffs- und Verteidigungsstrategien wird die Evolution noch heute vorangetrieben. Einige Meilensteine, die in dieser Zeit hervorgebracht werden, sind ein festes Außenskelett, wie es z.B. Urzeitkrebse und Trilobiten entwickelten, oder auch die Entwicklung der Augen, die mehr als 40 (!) Mal unabhängig voneinander entwickelt wurden. Mitte November leben in den Meeren bereits zahlreiche Nesseltiere, Seeskorpione und Tintenfische.
Die Entwicklung der Wirbeltiere beginnt am 16. November, wenn endlich der erste Fisch im Ozean aus der sogenannten Kambrischen Explosion auf die Bühne des Lebens geschleudert wird. Schon zehn Tage später, wir befinden uns inzwischen im Silur, gibt es an Land die ersten Pflanzen. Und binnen kurzer Zeit wird unsere Erde schließlich zu einem grünen Planeten.
Am Nikolaustag, also am 6. Dezember, ist die Erde von den Kohlewäldern des Karbons bedeckt und Rieseninsekten schwirren durch die Luft. Die Dinosaurier erobern am 15. Dezember in der späten Trias die Erde und beherrschen sie bis zum zweiten Weihnachtstag am Ende der Kreidezeit. Ein riesiger Meteorit setzt ihrer Zeit schließlich ein Ende. Das Zeitalter der Säugetiere beginnt.
Der Auftritt des Menschen
Der Mensch erscheint jedoch erst sehr spät am Silvesterabend, also am Ende des Pleistozäns. Das ist in unserem Kalender etwa um 23:30 Uhr am 31. Dezember. Die Gletscher der letzten Kaltzeit schmelzen erst eine gute Minute vor Jahresende. Eine halbe Minute später bauen die Ägypter bereits die Pyramiden. Wenn der 10-Sekunden-Countdown beginnt, geht das römische Imperium unter und das Mittelalter beginnt. Nach Sekunde Fünf landet Kolumbus in Amerika. Eine Sekunde vor Mitternacht wären wir noch im Deutschen Kaiserreich, und Bismarck wäre unser Kanzler.
Unsere eigene Geschichteist also beim Gesamtblick auf eine Reise durch die Zeit auf unserer Erde ungeheuer kurz. Auch dieser Tatsache sollten wir uns einmal bewusst werden. Denn wir nehmen uns oft viel zu wichtig und haben nur die Zeit auf der eigenen Armbanduhr im Auge.
Zum Weiterlesen: Wikipedia: historische Geologie
Folgende Episoden aus der Reihe „Die Geschichte unserer Erde“ sind außerdem bereits erschienen:
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Eine Reise durch die Zeit
Der Beginn des Lebens auf unserer Erde Der Jura Die Kreide Das Paläogen Das Neogen Das Quartär Die Welt der Zukunft |
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