3,8 Milliarden Jahre liegen nach der letzten Episode jetzt schon hinter uns. Eine Zeitspanne, die so groß ist, dass man fast vier Menschenleben bräuchte, allein schon die schiere Zahl auch nur auszuzählen! Auf unserem Kalender, in dem die gesamte Erdgeschichte in nur einem Jahr abläuft, befinden wir uns nun bereits in den letzten Tagen des Oktobers. Damit haben wir den größten Teil der Erdgeschichte schon hinter uns. Doch noch immer gibt es auf der Welt keine Spur des höheren Lebens.
Es gibt aber dafür bereits seit langem Ozeane, die Erde wird nur noch selten von Meteoriten getroffen. Seit fast einer Milliarde Jahren hat die Erde ihr äußeres Erscheinungsbild kaum geändert. Alle Kontinente hängen als eine einzige große Landmasse zusammen, auf der es kaum hohe Gebirge gibt. Wind und Niederschläge haben das erste Leben nun auch schon vom Ozean ans trockene Land gebracht.
Rote und lila Ozeane
Doch wo kam all diese Diversität auf einmal her? In den vergangenen 1.000 Millionen Jahren, der Boring Billion, ist auf der Erde doch eigentlich kaum etwas passiert. Höchstens vielleicht äußerlich: die Ozeane färbten sich nun von blutrot zu lila. Der Anteil an im Wasser gelösten Eisen sank, dafür stieg aber durch langanhaltende Vulkaneruptionen der Gehalt an Schwefelverbindungen. Dies begünstigte wiederum grüne und lilafarbene Bakterien.
Die Ozeane hätten also wirklich lustig ausgesehen. Und wir wären aus dem Lachen gar nicht mehr herausgekommen, wenn wir einen Atemzug von der proterozoischen Atmosphäre genommen hätten. Die hat nicht nur furchtbar nach faulen Eiern gestunken, sie enthielt auch zu großen Teilen Distickstoffmonoxid (Lachgas). Lange darüber gefreut hätten wir uns darüber aber nicht: die Luft wäre für uns Menschen immer noch tödlich giftig gewesen.

Die Erfindung von Sex
Um die erste Explosion des höheren Lebens zu erklären, die vor etwa 800 Millionen Jahren begann, müssen wir noch einmal ganz weit zurückgehen. Eine wichtige „Erfindung“, die noch heute das Denken vieler Menschen den ganzen Tag beschäftigt, hat die Natur wahrscheinlich schon zu Beginn oder kurz vor dieser Boring Billion zustande gebracht. Etwas, dass ganz und gar nicht langweilig oder giftig ist. Die ersten eukaryotischen Einzeller, die damals noch amöbisch lebenden Vorfahren der Pilze, Tiere und Pflanzen, hatten vor etwa 2 bis 1,7 Milliarden Jahren zum ersten Mal Sex! Die geschlechtliche Fortpflanzung war ein Meilenstein in der Evolutionsgeschichte, weil nun nicht mehr bloß Erbinformationen „kopiert“ wurden, wenn sich ein Organismus einfach teilte. Nein, jetzt gaben gleich zwei Organismen ihre DNS gemeinsam in einen Topf und rekombinierten ihre Gene! Dies ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für die spätere Entwicklung des höheren Lebens.
Aufteilung der Lebewesen in Reiche
Wann und wie die Lebewesen sich nun in verschiedene Reiche aufteilten, ist in der Forschung noch umstritten. Es gilt aber als sicher, dass einige Einzellerinnen und Einzeller ihre Sexualität bald schon wieder aufgaben und sich zugunsten einer schnelleren Ausbreitung nicht mehr geschlechtlich, sondern wieder durch Teilung vermehrten. Andere behielten die Fortpflanzung durch Partnersuche wiederum bei.
Von dieser paarungsfreudigen Linie spalteten sich als erstes wohl die Pflanzen ab, als nächstes teilte sich die gemeinsame Linie der Pilze und Tiere. Ja, es klingt verrückt, aber der Mensch ist mit der Hefe in seinem Bier enger verwandt als mit dem Getreide, aus dem es gebraut wurde. Trotzdem haben alle Lebewesen einen letzten gemeinsamen Vorfahren, der wohl vor etwa 1,6 Milliarden Jahren lebte.

Die Gliederung der Erdgeschichte
Das Proterozoikum, wo wir uns immer noch befinden, ist das erste Äon der Erdgeschichte, das von den Geologen auch in verschiedene Perioden unterteilt wird. Die langen Zeiträume des Archaikums werden dagegen nur noch in Ären (Eoarchaikum, Paläoarchaikum, Mesoarchaikum und Neoarchaikum) untergliedert, das Hadaikum sogar überhaupt nicht weiter. Da die Entwicklung des Lebens und geologische Prozesse aber im Proterozoikum langsam richtig interessant werden, ist so eine weitere Untergliederung schon sehr hilfreich.
Manche Forscher möchten sogar gerne auch die letzte Ära des Archaikums weiter untergliedern und haben fürs Neoarchaikum bereits die Perioden „Methanium“ und „Siderium“ vorgeschlagen, die aber bislang noch nicht ratifiziert sind.
Trotzdem ergibt dieser Vorschlag Sinn: hier sollen die Grenzen von Perioden, Ären und Äonen nicht mehr nur willkürlich durch schöne, runde Zahlen aus der radiometrischen Datierung gesetzt werden, sondern durch erdgeschichtliche Wendepunkte, an denen sich tatsächlich etwas von geologischer Relevanz ereignete. Die nebenstehende Tabelle orientiert sich aber noch an der „klassischen“ Geochronologie.
Calymnium (1.600 bis 1.400 Ma)
Springen wir nun in die Ära des Mittelproterozoikums (Mesoproterozoikum) zurück und machen durch diese Ära einen kleinen Schnelldurchlauf. Das Mesoproterozoikum beginnt mit der Periode des Calymniums in der Zeit vor etwa 1,6 Milliarden Jahren. Wir sind hier zwar immer noch mittendrin in der Boring Billion, doch diese Periode zeigt, dass sich damals doch einiges ereignete, was bei der näheren Betrachtung ausgesprochen wichtig war. Die Erfindung von Sex hatten wir schon. Und jetzt bricht auch der Superkontinent Columbia endgültig auseinander.

Ectasium (1.400 bis 1.200 Ma)
In der nächsten Periode, im Ectasium, entwickelten sich die ersten komplexeren Rotalgen. Die meisten heutigen Rotalgen sind mehrzellig, und auch im Ectasium haben sie sich wahrscheinlich schon miteinander zusammengetan, um gemeinsam größere Areale zu besiedeln. Die Kontinente finden nun wieder zu einem neuen Superkontinent zusammen, die wir ab der Zeit vor etwa 1,2 Milliarden Jahren Rodinia nennen. Zu dieser Zeit verfestigt sich wahrscheinlich auch der innere Eisenkern der Erde endgültig. Dieser Kern dreht sich schnell um seine eigene Achse, damals sogar noch erheblich schneller als heute, sodass ein starkes magnetisches Feld entstand.

Stenium (1.200 bis 1.000 Ma)
Zu Beginn des Steniums, als diese Zusammenkunft der Landmassen sich vollendete, können im Fossilbericht auch zum ersten Mal Lebewesen an Land nachgewiesen werden: Dort finden sich nämlich sowohl pilzartige Strukturen, wie auch die Hinterlassenschaften von Bakterien. Häufig sind die ersten Landbewohner zwar nicht unbedingt, aber die Erde ist nun nicht länger wüst und leer. Erkennen könnte man das allerdings nur unter dem Mikroskop. An Land nutzen die Mehrzeller nun vor allem Tageslicht, um aus dem in der Atmosphäre reichlich vorhandenen Kohlenstoff und Wasser Energie zu gewinnen. Ein Tag und eine Nacht gehen im Stenium aber noch sehr rasch über die Bühne: das dauert nämlich nicht wie heute 24, sondern nur etwa 18 1/2 Stunden!

Tonium (1.000 bis 720 Ma) – Das Ende der Langeweile
Mit dem Tonium beginnt vor rund einer Milliarde Jahren nun das Neoproterozoikum, das letzte Zeitalter des Präkambriums. Als Präkambrium bezeichnen Geologen übrigens alles, was vor dem Zeitalter des Kambriums liegt. Ein offizieller Terminus in der Geochronologie ist das allerdings nicht!
Die Boring Billion geht im Tonium nun endlich zu Ende, und tatsächlich tut sich nun endlich etwas mehr auf dem Planeten: der Superkontinent Rodinia bricht nun wieder auseinander, zuerst in zwei, dann in drei große Bruchstücke. Aus dieser Periode kennen wir außerdem viele uralte Stromatolithen. Das sind vielfältige Sedimentgesteine, die manchmal flach und eben, manchmal aber auch aufgewölbt sind. Einige haben sogar eine Form, die ein bisschen an Brokkoli und Blumenkohl erinnert. Diese Steinformationen sind der wichtigste Nachweis von Leben aus dieser Zeit. Sie wurden durch Biofilme von ein- und mehrzelligen Mikroorganismen gebildet, die damals den Meeresgrund bedeckten.
Das Ende der Stromatolithen
Zwar sind die ältesten Stromatolithen wahrscheinlich schon mehr als 3 Milliarden Jahre alt, aber im Tonium sind sie nun so häufig, dass sie wie die erst viel später auftretenden Korallen schon Riffe bildeten. Vor 800 Millionen Jahren beginnt für die Stromatolithen jedoch der Niedergang: in den kommenden Jahrmillionen werden sie immer seltener. Forscher vermuten, dass die Biofilme von den nun immer häufiger werdenden mehrzelligen Algen abgeweidet wurden. Die ersten „richtigen“ Pflanzen entwickeln sich nämlich genau in dieser Zeit, nur leben die jetzt noch ausschließlich im Wasser und sind winzig klein. Möglich ist auch, dass eine kurze, aber sehr kalte Vereisungsphase, die Kaigas-Eiszeit, vor etwa 740 Millionen Jahren zum großflächigen Verschwinden der Biofilme beitrug.

Cryogenium (720 bis 635 Ma) – Die eiskalte Geburt des höheren Lebens
Der enorme Appetit der hungrigen Mehrzeller lässt den Sauerstoffgehalt in die Höhe schnellen. Er erreicht das erste Mal in der Erdgeschichte einen Wert von etwa 12%. Das ist genug, dass wir Menschen zumindest nicht mehr sofort tot umfallen würden, wenn wir beim Aussteigen aus unserer Zeitmaschine vergessen sollten, die Sauerstoffmaske anzulegen. Und wir kriegen auch nicht sofort einen Sonnenbrand: eine dichte Ozonschicht schirmt die gefährliche UV-Strahlung von der Erde ab. Verbrennen könnte man sich im frühen Cryogenium aber trotzdem, denn zum ersten Mal in der Erdgeschichte ist der Sauerstoffgehalt nun hoch genug, dass Feuer brennen können. Besonders viel Brennmaterial gab es damals zwar noch nicht, aber da die vielen Mikroorganismen in den Meeren damals schon die ersten Erdgas- und Erdöl-Lagerstätten gebildet hatten, ist es nicht unwahrscheinlich, dass ein Blitzschlag zu dieser Zeit schon die allerersten Feuer entfachte.
Zwei Eiszeitalter
Der Himmel erstrahlt nun wie heute bei gutem Wetter in einem satten blau. Ein letztes Mal färben sich die Ozeane wieder blutrot, wegen des oxidierenden Eisens. Doch nicht für lange. Man ahnt schon, was als nächstes kommt: eine neue Eiszeit. Vor 717 Millionen Jahren versinkt die Erde wieder in Eis und Schnee. Die Sturtische Eiszeit hält die Erde fast 60 Millionen Jahre lang in ihren eisigen Klauen. Die Welt überfriert diesmal aber überraschenderweise doch nicht ganz. Wenigstens die Ozeane, aber auch einige Teile des Festlandes bleiben eisfrei. Die Erde ist jetzt also ein großer Matschklumpen, aber keine Eiskugel. Das ist für das sich gerade entfaltende Leben eine sehr gute Nachricht: trotz der niedrigen Temperaturen entwickeln sich in dieser Zeit wahrscheinlich die allerersten komplexeren Tiere. Einige Fossilien aus dieser Zeit werden z.B. den frühen Verwandten der Schwämme zugeordnet.

Seinen Namen trägt das Cryogenium also nicht umsonst, denn es bedeutet so viel wie „Eiskalte Geburt“. Die „Geburt“ des höheren Lebens geht aber um ein Haar fast schon wieder schief. Gerade, als sich die Welt von der Sturtischen Eiszeit noch erholt, beginnt nämlich gleich schon wieder eine neue. Die Marinoische Eiszeit am Ende des Cryogeniums dauert zwar „nur“ fünf Millionen Jahre, aber sie ist bedeutend kälter als die vorherige. Die Jahresdurchschnittstemperaturen sinken jetzt auf eisige -35°C, und diesmal frieren auch die Ozeane wieder komplett zu. Die Erde verwandelt sich in einen Schneeball, und das Leben muss sich arg anstrengen, diese Zerreißprobe zu überstehen.
Ediacarium (635 bis 541 Ma) – Der Beginn des höheren Lebens
Die letzte Periode des Proterozoikums ist eine der geheimnisvollsten und interessantesten der gesamten Erdgeschichte. Denn jetzt holt das Leben tatsächlich zu seinem ersten größeren Schlag aus!
Die Kontinente haben sich nun wieder zu einer großen Landmasse vereint. Pannotia nennt man diesen neuen Superkontinent, der sich vor allem über die Südhalbkugel erstreckt. Er ist aber der wohl kurzlebigste aller Superkontinente: schon 40 Millionen Jahre nach ihrem Zusammenfinden trennen sich die Kontinente wieder und bildeten die drei großen Landmassen Laurentia, Baltica und Sibiria. Die Temperaturen sind im Ediacarium relativ mild. Lediglich während der Gaskiers-Eiszeit, vor etwa 584 Millionen Jahren, kommt es kurzzeitig zu einem starken Rückgang der Temperaturen.
Die erste große „Explosion“ des höheren Lebens
Möglicherweise hat dieser stetige Wechsel des Klimas während der letzten drei Perioden des Proterozoikums die Entwicklung des höheren Lebens sogar begünstigt, als sie auszubremsen. Der ständige Wechsel zwischen den Extremen sorgte für einen hohen Selektionsdruck, dem die Organismen ausgesetzt waren. Und das brachte sie vielleicht dazu, immer komplexer zu werden. Im Ediacarium finden wir nun tatsächlich die ersten direkten Nachweise von Tierfossilien.

Da die Tiere damals allerdings noch kaum über ein stabilisierendes Skelett verfügten, sind ihre Überreste sehr, sehr selten. Trotzdem kann nicht bezweifelt werden, dass in den Riffen und Küstenmeeren des Ediacariums das Leben geradezu aufblühte. Quallen, Schwämme, sogar die Vorfahren der Seesterne, Seeigel und aller anderen Stachelhäuter lebten bereits im Ediacarium. Daneben lebten aber auch viele geheimnisvolle Organismen, über deren genaue Verwandtschaft noch häufig gestritten wird. Es ist auch gut möglich, dass diese Wesen schon am Ende des Ediacariums ausstarben, und überhaupt keine Nachfahren im 21. Jahrhundert mehr haben.
Am Ende des Ediacariums, vor etwa 555 Millionen Jahren, erscheinen auch die ersten Fossilien der Bilateria (Zweiseitentiere). Zu dieser Großgruppe gehören u.a. Würmer, Spinnentiere, Insekten und auch schließlich die Wirbeltiere. Die große Radiation des höheren Lebens, die schließlich zur Herausbildung aller eben genannten Tierstämme führen sollte, ereignete sich aber erst im Kambrium. Doch dazu mehr im nächsten Kapitel.
Folgende Episoden aus der Reihe „Die Geschichte unserer Erde“ sind außerdem bereits erschienen:
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Eine Reise durch die Zeit
Der Beginn des Lebens auf unserer Erde Die Entstehung höheren Lebens Der Jura Die Kreide Das Paläogen Das Neogen Das Quartär Die Welt der Zukunft |
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Klasse ihre Beiträge. Auf diese Art kann mann erdgeschichte sogar Kindern anschaulich vermitteln. Wird es das mal als Buch geben?
Ja, das ist geplant. Wir sind an einem großen Sachbuch über die Erdgeschichte dran. Zuerst kommen aber noch einige andere Projekte.