Den größten Teil der Erdgeschichte haben wir nun nach den letzten Episoden bereits hinter uns. Mehr als 4 Milliarden Jahre. eine unglaublich lange Zeitspanne. Es würde mehr als vier Menschenleben brauchen, diese Zeit auch nur auszuzählen! Und doch liegt der interessanteste Teil noch vor uns: die Entfaltung der heutigen Artenvielfalt. Noch immer schwimmt kein einziger Fisch im Ozean. Es gibt noch nicht einmal Insekten, auch keine Muscheln oder Krebse. Wo kamen all diese Tiere eigentlich her? Die Antwort liegt in einer der bemerkenswertesten Perioden der Erdgeschichte, in die wir heute reisen wollen: Im Kambrium.
Definition und Abgrenzung des Kambriums
Das Kambrium markiert den Auftakt eines neuen Äons, des Phanerozoikums. Dieses Wort leitet sich aus dem Griechischen ab: φανερός (phanerós) bedeutet so viel wie „sichtbar“, ζῷον (zôon) bedeutet „Lebewesen“. Das Phanerozoikum ist in drei Ären untergliedert: das Paläozoikum (Erdaltertum), das Mesozoikum (Erdmittelalter) und das Känozoikum (Erdneuzeit). Wir betreten im Kambrium also nun den ersten Abschnitt im Zeitalter des sichtbaren Lebens. Obwohl das ja eigentlich nicht so ganz stimmt: Die ersten sichtbaren Tiere gab es schließlich schon im Ediacarium und Cryogenium. Zu Beginn des Kambriums tummeln sich in den Ozeanen schon zahlreiche Quallen, Seeigel, Seesterne und andere primitiven Lebewesen.
Seinen Namen verdankt das Kambrium dem englischen Naturforscher und einem der Begründer der modernen Geologie, Adam Sedgwick (* 1785, † 1873). Sedgwick leitete den Namen von dem lateinischen Namen von Wales ab (Cambria). In Wales findet man viele geologische Schichten des Kambriums aufgeschlossen.
Beginn und Ende des Kambriums
Anfang, Ende und Dauer des Kambriums wurden in der Geschichte mehrmals umdefiniert. Anfangs ließ man es bereits vor 600 Millionen Jahren beginnen, beim Erstauftreten der ältesten tierischen Fossilien. Alle vorherigen Zeitalter fasste man damals noch als „Präkambrium“ zusammen – also „vorkambrisch“, womit man die Zeit vor dem Auftreten des Lebens meinte. Heute weiß man jedoch, dass das Leben selbst schon sehr viel älter ist (Mikroorganismen), und selbst von höheren Lebewesen fand man bereits in älteren Schichten Fossilien.
Deshalb entschied man sich noch in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts dafür, das Kambrium mit dem Erstauftreten der ältesten Trilobiten beginnen zu lassen. Trilobiten sind äußerlich an Krebse erinnernde Urzeitlebewesen, die im gesamten Paläozoikum als Leitfossilien dienen.
In den letzten Jahren wurde jedoch die radiometrische Datierung, mit der man das Alter dieser Fossilien bestimmen konnte, immer präziser. Heute definieren wir den Beginn des Kambriums nach der Datierung vulkanischer Zirkone aus dem Oman, die ein radiometrisches Alter von 541 Millionen Jahren haben. Ähnlich verhält es sich mit dem Ende des Kambriums. Anfangs folgte auf das Kambrium auch noch nicht das Ordovizium, sondern direkt das Silur. Das Ordovizium wurde erst in den 1960gern offiziell als Periode anerkannt. In vielen älteren Fach- und Sachbüchern fehlt es oft, oder ist nur als Epoche des Silurs mit aufgeführt. Heute lässt man das Kambrium mit einem großen Massenaussterben enden, das vor etwa 488 Millionen Jahren begann und vor 485,4 Millionen Jahren endete.
Gliederung des Kambriums
Nach heute gültiger Definition begann das Kambrium also vor 541 Millionen Jahren und endete vor 485,4 Millionen Jahren. Es dauerte somit 55,6 Millionen Jahre.
Terreneuvium

Die erste geochronologische Epoche des Kambriums beginnt mit dem Erstauftreten des Spurenfossils Trichophycus pedum. Diese Fossilien sind Bohr- bzw. Fraßgänge von Tieren, die im Meeresboden lebten, vermutlich waren es Würmer. Das Terreneuvium hat seinen Namen von der lateinischen Schreibweise für Neufundland, wo man derartige Spurenfossilien häufig finden kann.

Die Epoche wird in zwei Stufen untergliedert. Die erste, das Fortunium, dauerte von 541 bis 529 Millionen Jahren. Die zweite hat derzeit noch keinen eigenen Namen. Es steht aber momentan zur Debatte, sie künftig „Tommotium“ zu nennen, nach kambrischen Fundstellen in Sibirien. Dort findet man häufig die Überreste früher Mollusken (Schalentiere), wie Watsonella crosby.

Zu Beginn des Kambriums existierte ein großer Südkontinent namens Gondwana, der z.T. über den Äquator bis in nördliche Breiten reichte. Zu diesem Kontinent gehörten Afrika, Südamerika, Indien, Madagaskar, Australien und Antarktika. Einige kleinere Blöcke gingen später auch in den Nordkontinenten auf. Dem Großkontinent im Süden standen drei kleinere Kontinente gegenüber. Laurentia (Teile Nordamerikas und Grönlands) und Baltica (Nordosteuropa), die durch den großen Iapetus-Ozean getrennt wurden, sowie Sibiria (Sibirien), das von Baltica durch den Aegir-Ozean getrennt wurde. Zwischen Baltica und Gondwana lag der Tornquist-Ozean. Abseits dieser Kontinente gab es noch eine kleine Landmasse namens Kasachstania. Die meisten Kontinente lagen damals anders als heute nicht auf der Nord- sondern auf der Südhalbkugel. Der geographische Südpol befand sich im Unterkambrium im heutigen nördlichen Südamerika. Der Nordpol lag während des ganzen Kambriums im Meer.
Epoche 2
Auch die zweite Epoche des Kambriums hat derzeit noch keinen offiziellen Namen. Genauso wie ihre beiden Stufen 3 und 4, in die sie untergliedert ist. Für die Fundstellen in Sibirien benutzt man jedoch bereits den Begriff „Yakutium“. Die ältere der beiden Stufen nennt man dort Atdabanium, die jüngere wird je nach Fundort Botomium oder Toyonium genannt. Aus der zweiten kambrischen Epoche, die vor 521 Millionen Jahren begann, stammen die ersten Fossilien von Trilobiten. Berühmt ist z.B. Lemdadella, die man in Spanien, Marokko und in der Antarktis fand.
In der zweiten Kambrischen Epoche waren bereits alle heutigen Tierstämme bis auf die Moostierchen (Bryozoa) vorhanden: Es gab inzwischen Schwämme, (Porifera), Gliederfüßer (Arthropoda), die muschelähnlichen Brachiopoden, Weichtiere (mollusca) wie Muscheln und frühe Vorfahren der Tintenfische, die Conodonten und viele andere kleinere Stämme von Wirbellosen. Bemerkenswert fürs frühe Kambrium ist auch die Bildung mächtiger Riffe, die vor allem von den sogenannten Archaeocyathiden aufgebaut wurden. Nesseltiere (Cnidaria) wie Quallen, Seeanemonen und einige Korallen, aber auch die Stachelhäuter (Echinodermata) wie Seesterne, Seegurken und Seeigel hatten sich bereits im Ediacarium entwickelt. Doch auch viele andere Tierstämme dürften ihre Wurzeln noch lange vor der sogenannten kambrischen Explosion gehabt haben.

Skelette, Panzer und Augen
Im Kambrium entwickelten viele Tierstämme aber unabhängig voneinander ein festes Außenskelett. Deshalb findet man auch erst in dieser Zeit vermehrt Fossilien, da sich das Weichgewebe früherer Organismen einfach nicht bis in unsere Zeit erhalten hat. Auch eine weitere Revolution in der Entwicklungsgeschichte trat das erste Mal in der zweiten Kambrischen Epoche auf: Augen! Viele Tiere brachten die Fähigkeit, auf optische Reize zu reagieren, unabhängig voneinander hervor. Dies führte zu einem unaufhörlichen Wettrüsten zwischen Jägern und ihrer Beute und ist bis heute eine Triebfeder der Evolution. Zu den mächtigsten Jägern des Kambriums gehörten riesige Arthropoden wie Anomalocaris canadensis, der eine Länge von über einem Meter erreichte.

Doch auch für unsere eigenen Vorfahren schlug vor etwa 520 Millionen Jahren eine wichtige Sternstunde. Aus dieser Zeit stammen die ältesten Fossilien von primitiven Fischen, wie z.B. Haikouichthys ercaicunensis. Ihre Stabilität verdanken sie aber keinem Außenpanzer, sondern sie kam von innen! Haikouichthys gehörte zu den ersten Tieren mit einer primitiven Wirbelsäule. Er und seine Vorfahren stehen somit an der Basis aller heutigen Wirbeltiere. Über die Molche, die Frösche und die Reptilien führt ihre Linie auch zu den mächtigen Dinosauriern und auch den Vögeln. Und in einer anderen Linie entwickelten sich seine Nachfahren zu den Säugetieren und somit letztlich auch zu uns Menschen.

„Aliens“ auf der Erde
In kaum einer anderen Periode der Erdgeschichte experimentierte Mutter Natur so fleißig herum wie in der Zeit des Kambriums. Manche ihrer Pläne gab sie allerdings auch wieder auf. So sind viele Tierstämme, die sich während des Kambriums (oder sogar noch davor) entwickelten, heute längst ausgestorben. Zu den bizarrsten Kreaturen, die uns heute wohl wirklich wie Aliens vorkommen würden, zählte dabei der Stamm der Vetulicolia, deren zoologische Zuordnung immer noch umstritten ist. Es hat diese „Aliens“ aber wirklich einmal auf unserer Erde gegeben.

Miaolingium
Die dritte Epoche des Kambriums ist nach dem Miaoling-Gebirge in der südchinesischen Provinz Guizhou benannt. Sie begann vor 509 Millionen Jahren. Ihre erste Stufe ist das Wuliuum, ebenfalls benannt nach Fundorten und Südchina. Die mittlere Stufe heißt Drumium und ist nach den Drum Mountains im U.S.-Bundesstaat Utah benannt. Die jüngste Stufe des Miaolingiums wird Guzhangium genannt. Sie wurde nach einem Landkreis in der chinesischen Provinz Hunan benannt und endete vor 497 Millionen Jahren. Die Archaeocyathiden starben spätestens zu dieser Zeit aus und wurden durch andere riffbauenden Organismen wie Korallen und Schwämme ersetzt.

Im Miaolingium stieg auch der Meeresspiegel durch unterseeischen Vulkanismus immer weiter an und lag nun deutlich über dem heutigen Niveau. Da im Kambrium ein mildes Klima herrschte, lagen auch die Temperaturen höher als heute. Durch den starken Vulkanismus war auch der CO2-Gehalt in der Atmosphäre extrem hoch angestiegen. Die Luft von damals hätten wir Menschen zwar atmen können, aber nicht sehr lange. Auf Dauer würden uns der geringe Sauerstoffgehalt und die vielen giftigen Gase in der Atmosphäre krank machen. Jedem Zeitreisenden, der das Kambrium besuchen möchte, möchte ich deshalb unbedingt eine Sauerstoffmaske für sein Reisegepäck empfehlen!
Die ersten Landpflanzen?
Möglicherweise gelang im Miaolingium den ersten Pflanzen bereits der Schritt ans Land. Eine genetische Studie aus dem Jahr 2018 verortet die ersten Vertreter der Embryophyta („Landpflanzen“) in der Zeit vor rund 500 Millionen Jahren. Wahrscheinlich gingen damals einige Algen eine Symbiose mit den bereits seit längerem auf dem Land heimischen Pilzen ein. Mit ihnen bildeten sie nun die ersten flechtenähnlichen Gewächse an den kambrischen Flussufern.

Furongium
Die vierte und letzte Epoche des Kambriums trägt ihren Namen nach dem chinesischen Wort 芙蓉 (furong), was „Lotus“ bedeutet. Natürlich gab es zu dieser Zeit noch keine Lotusblumen. Allerdings wächst er sehr wohl heute an den berühmtesten Fundstellen aus dieser Zeit in China. Das Furongium ist auch wieder in drei Stufen untergliedert. Die ersten beiden heißen Paibium und Jiangshanium, wie man unschwer erkennen kann auch nach den Orten, wo diese Zeitalter in China aufgeschlossen sind. Die letzte Stufe, offiziell nur „Kambrium 10“ genannt, ist wieder unbenannt. Es könnte allerdings bald den Namen „Lawsonium“ bekommen, nach der Lawson Cove, einem Fundort in Utah.
Das Kambro-Ordovizsche Massenaussterben
Inzwischen waren die Kontinente weiter nach Westen gewandert. Gondwana war über den Südpol hinweggezogen, der sich nun im heutigen Nordafrika befand. Der Vulkanismus erreichte im späten Furongium einen ersten Höhepunkt, was dabei zu einer schweren Krise führte. Ein Supervulkan, vermutlich im heutigen Australien gelegen, löste dort eine Kettenreaktion verheerender Umweltkatastrophen aus. Durch den fortwährenden Ausstoß giftiger Gase, insbesondere saurer Schwefelverbindungen, kam es dabei zu einem anoxischen Ereignis. Der Sauerstoffgehalt in den Meeren nahm rapide ab. Auch das Klima änderte sich dramatisch. Trotz der hohen Belastung von Treibhausgasen führte vermutlich ein vulkanischer Winter zu einer starken Abkühlung. Ob es damals auch zu einem Eiszeitalter kam, ist umstritten. Allerdings waren die Temperaturen im nun folgenden Ordovizium durchschnittlich kälter als noch im Kambrium.

Dem Kambro-Ordovizischen Massenaussterben vielen viele Gattungen der Trilobiten, Brachiopoden, Seeigel, Conodonten, aber auch Mikroorganismen wie Strahlentierchen (Radiolaria) zum Opfer. Es gehört aber noch nicht zu den „Big Five“, also den größten Massenaussterben der Erdgeschichte. Auf die Lebewesen unseres Planeten sollte nach dem Kambrium also noch einiges zukommen – doch dazu mehr in der nächsten Episode!
Folgende Episoden aus der Reihe Die Geschichte unserer Erde sind außerdem bereits erschienen:
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Eine Reise durch die Zeit
Der Beginn des Lebens auf unserer Erde Das Kambrium Der Jura Die Kreide Das Paläogen Das Neogen Das Quartär Die Welt der Zukunft |
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